Ich hab’s geschafft: 100 Kilometer in 24 Stunden!
Erfahrungsbericht von Megamarsch-Finisher Jörg Thamer
Als ich meinen Bekannten im vergangenen Jahr von meinem Vorhaben „Megamarsch Frankfurt – 100 km wandern in 24 Stunden“ erzählte, war die Reaktion zumeist ungläubiges Kopfschütteln. Ist ja auch ein echter Hammer. Aber nun hat sie tatsächlich einen Ehrenplatz in unserem Wohnzimmer: die Finisher Medaille. Ich bin beim Megamarsch Frankfurt 100 Kilometer am Stück gewandert und habe damit einen persönlichen Rekord aufgestellt. Mega!
Grenzen austesten
Das ungläubige Kopfschütteln meiner Bekannten bedeutete wohl auch: Warum tut er sich das an? Das habe ich mich natürlich auch gefragt. Mein hauptsächlicher Beweggrund, mich einer solch extremen Belastung auszusetzten war, dass ich meine Grenzen weiter austesten wollte. 80 Kilometer und mehrere Wandermarathons hatte ich schon geschafft und ich wollte wissen: geht da noch mehr? Und als dann das Angebot des „Wrightsock-Teams“ kam, am Megamarsch in Frankfurt teilzunehmen, stand meine Entscheidung in Windeseile fest. Ich habe zugesagt.
Ich hab ja noch soooo viel Zeit
Am Anfang hat man gefühlt meistens ja noch unendlich viel Zeit für die Vorbereitung. Aber Vorsicht: Am Ende rennt sie einem dann doch davon. Aber unvorbereitet sollte niemand einen solchen Marsch angehen. Es ist wichtig, sich sowohl körperlich als auch mental fit zu machen. Zur körperlichen Vorbereitung gehören auf jeden Fall viele, viele Wanderkilometer. Man sollte mit einer gewohnten Streckenlänge anfangen und sich dann weiter steigern. Wandermarathons (42 Kilometer) sind in Deutschland gerade in. Ich habe in 2017 im Vorfeld des Megamarschs an drei Wandermarathons erfolgreich teilgenommen. Das waren auch schon die weitesten Strecken, die ich vor dem großen Tag absolviert hatte. Außerdem haben wir uns mit dem Team getroffen um die original Strecke etwas kennen zu lernen. Wir hatten uns die letzten 25 Kilometer der Strecke vorgenommen. So wusste ich gegen Ende des Megamarschs, was noch auf mich zukommen wird.
Diese Wanderung auf der Originalstrecke war also gleichzeitig auch eine Art mentale Vorbereitung. Wie auch die Wandermarathons. Es hört sich lapidar an, aber ich wusste: 42 Kilometer schaffe ich. Das muss ich dann nur zweieinhalbmal nacheinander machen und schon habe ich die 100! Ich wusste, dass ich mich auf mein Material verlassen kann. Mir gab das sehr viel Zuversicht. Positiv an die Sache heran zu gehen ist wohl die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg.
Aber nur mit Zuversicht alleine kommt man natürlich auch nicht weit. Als Mitglied des Wrightsock-Teams hatte ich den bestmöglichsten Support. Dafür hier nochmal vielen Dank! Jedem, der als „Einzelkämpfer“ am Megamarsch teilnehmen möchte, empfehle ich, mit Hilfe von Freunden, Familie oder Bekannten ebenfalls einen Support zu organisieren. Sei es das zweite Paar Schuhe (das im Begleitfahrzeug bereit steht), Wechselklamotten oder einfach nur der seelische Beistand und aufmunternde Worte eines bekannten Gesichts an der Strecke – das ist, vor allem in der Nacht, sehr viel wert. Und falls der Marsch dann doch abgebrochen werden muss, hat man keine Probleme nach Hause oder zumindest zum nächsten Bahnhof zu kommen. Denn ein Shuttle-Service wird beim Megamarsch leider nicht angeboten.
Hab ich meine Ausrüstung beisammen?
In der Vorbereitungsphase hat mich auch die Frage der richtigen Ausrüstung beschäftigt. Auf der einen Seite wollte ich Gewicht sparen, auf der anderen Seite auch nichts Wichtiges vergessen. Es fängt bei der richtigen Bekleidung an und hört bei den Accessoires auf. Für mich haben sich folgende Ausrüstungsgegenstände als sinnvoll und nützlich erwiesen:
- eingelaufene Wanderschuhe, je nach Terrain und Vorliebe (für den Megamarsch meine 1. Wahl: Lowa Renegade)
- Funktionsunterwäsche
- Funktionsshirt
- Zip-Off-Trekkinghose
- warme Jacke für die Pausen (Fleece oder Softshell)
- Wandersocken – ich laufe super mit dem Wrightsock-Modell Escape
- Wechselgarnitur
- Regenschutz
- Mütze/Hut/Kappe
- Sonnenbrille/-creme
- Tagesrucksack (maximal 8 kg Gesamtgewicht)
- Trinkflasche/-system (1 Liter)
- leichte Handschuhe
- Trekkingstöcke (ich kam ohne zurecht)
- Puls- oder GPS-Uhr, GPS-Gerät oder Smartphone mit entsprechender App und dem Track der Route
- Stirnlampe
- Müsliriegel, Magnesium-Tabletten
- Erste-Hilfe-Set
Natürlich sollte man diese Ausrüstung der Witterung anpassen. Für die beiden Tage Megamarsch Frankfurt war zum Beispiel 0% Regenwahrscheinlichkeit vorhergesagt. Ich hatte Mut zur Lücke und habe deshalb die Regenklamotten nicht mitgeschleppt. Jedes Gramm zählt!
Jörgs Sockenwahl:
ESCAPE crew
Die ideale Wandersocke
Das Modell ESCAPE ist die klassische und somit ideale Wandersocke. Ganz gleich wo, wann oder wie lange du unterwegs bist, dieses Sockenmodell ist für alle Ansprüche geeignet.
Für den Megamarsch in Frankfurt trug Jörg das WRIGHTSOCK-Modell ESCAPE crew im Wanderschuhklassiker RENEGADE (LOWA).
Noch schnell ein Bierchen vor dem Start.
(Foto: Chris Müller)
Jörgs Marschtabelle diente ihm zur zeitlichen Orientierung.
Das Team WRIGHTSOCK vor dem Start (vonlinks): Bianca, Brigitte, Rolf, Daniela, Chris, Jörg, Michaela.
Der große Tag ist gekommen
Die Ausrüstung hatte ich also zusammen, die Motivation und die Zuversicht waren da, und trotzdem stand ich dann am Start und fragte mich: Warum? Aber nun gab es kein Zurück mehr…. Irgendwie begeisterte mich gleich am Start die Atmosphäre. Wir saßen alle im selben Boot und mussten da irgendwie durch. Jeder war bereit sein Bestes zu geben. Viele waren „Mehrfachtäter“, manche standen zum ersten Mal am Start eines 100 km-Marschs. Und dann läuft der Countdown… mit lautem „Nuuuuuulll“ begaben wir uns auf die Strecke.
Auf den ersten Kilometern heißt es sich sortieren und sein eigenes Tempo zu finden. Denn, wenn 1.000 Leute gleichzeitig losmarschieren ist klar, dass nicht jeder gleich schnell läuft und dass dies zu Behinderungen führen kann. Aber irgendwann hat sich das Feld geordnet und es läuft sich angenehmer.
Der Megamarsch Frankfurt startete um 16 Uhr und ob dieser Startzeit war ich zunächst skeptisch. Ist es nicht besser früh morgens ausgeruht an den Start zu gehen? Aber 16 Uhr hat auch einen Vorteil: die Nacht kommt viel schneller und ist dementsprechend auch früher vorbei. Ich mag es, im Dunkeln zu laufen, aber ganz besonders mag ich den morgendlichen Sonnenaufgang, die Phase, wenn die Natur wieder zum Leben erwacht, wenn die Vögel zwitschern und es wieder heller wird. Der Nachtmarsch war anstrengend, erforderte viel Konzentration. Vor allem, weil es durch das Felsenmeer hinunter ging. An der letzten Verpflegungsstation kam ich noch im Dunkeln an. Es gab Kaffee… und dann ging die Sonne auf. Die letzten 30 Kilometer standen an. Das war nochmal ein besonderer Motivationsschub.
Mit der Zeit haben sich während des Marschs Grüppchen gebildet. Ich hatte auf der Strecke Dietmar kennengelernt, der in etwa das gleiche Tempo marschierte wie ich. Das hat mir sehr geholfen, denn wenn man sich unterhält, geht die Zeit doch viel schneller vorüber, als wenn man alleine geht und dann ständig auf die Uhr schaut. Also sucht euch jemanden, der vom Wandertempo her zu euch passt! Alle Teilnehmer des Marschs mit denen ich gesprochen habe, waren total nett. Durch das gemeinsame Ziel findet man ja auch schnell ein gemeinsames Thema.
Noch ist das Teilnehmerfeld beieinander.
Rolf (links) und Jörg (rechts) am Versorgungspunkt bei Kilometer 45.
Zum Sonnenaufgang war der Versorgungspunkt bei ca. 70 Kilometern erreicht.
(Foto: Chris Müller – Krümelhüpfer)
Kleine Tipps zur Selbstmotivation
Mit kleinen Tricks habe ich es geschafft, mich während des Marschs immer wieder selbst zu motivieren. Für mich war es sehr hilfreich, mir die 100 Kilometer als kleine Stücke vorzustellen. 20 Kilometer sind eine Strecke, die ich üblicherweise wandere. 42 Kilometer Wandermarathon hatte ich auch schon öfter absolviert. Und 80 Kilometer war vor dem Megamarsch die weiteste Strecke, die ich je zu Fuß am Stück zurückgelegt hatte.
Am Anfang redete ich mir ein: nur 5 x 20 Kilometer… 5 normale Wanderungen nacheinander. Nach den ersten 20 Kilometern kam mir der Gedanke, dass noch 80 Kilometer vor mir lagen und dass ich diese Strecke, im Prinzip ja „nur“ zwei Wandermarathons, schon mal geschafft hatte. Nach 50 Kilometern kommt die berühmte „Glas halb leer oder halb voll-Frage“. Ich hab sie mir mit „schon die Hälfte geschafft“ beantwortet. Das klingt besser als: „Boah, jetzt nochmal so viel“. Irgendwann dann: „nur noch ein Wandermarathon“. Und dann „nur noch eine normale Wanderung“.
Geholfen hat mir auch die Marschzeittabelle, die ich vor dem Megamarsch im Internet gesucht und ausgedruckt hatte. Das Gefühl, zeitmäßig immer locker die Durchlaufzeiten eingehalten zu haben, war sehr beruhigend; ebenso der Blick auf meine Garmin Fenix, die mir die zurückgelegten Kilometer anzeigte. Der vorher auf mein Garmin Oregon heruntergeladene GPX-Track half nicht nur bei der Orientierung, sondern war mir gleichfalls Motivation.
Und dann hat mir sehr geholfen, mich auf die schönen Dinge entlang der Strecke zu konzentrieren, mich über Aussichten zu freuen, den Sonnenaufgang, das Vogelzwitschern – kurzum alles, was mich von der Plackerei (und die ist es zweifelsohne) irgendwie ablenkt aufzusaugen und in den Vordergrund zu stellen. Positiv denken und sich dann auf den Zieleinlauf freuen! Daran denken, wie stolz man sein wird, wenn man die Ziellinie überquert, daran, dass man wieder eine Grenze nach oben verschoben haben wird. 100 Kilometer – eine megamäßige Leistung.
Der Zieleinlauf – ein ganz besonderer Moment
Und dann der letzte Kilometer. Ein besonderes Gefühl. Der ein oder andere Zuschauer stand (ob jetzt geplant oder zufällig) an der Strecke und ich bekomme manch motivierenden Spruch zu hören. Teilweise werden wir mit Applaus bedacht. Es geht nochmal bergauf zum Weinheimer Schlossgarten. Ein Ruck geht durch meinen Körper. Ich weiß, das ist der letzte Anstieg. Und dann sehe ich ihn: den Torbogen, auf dem in großen Lettern „Ziel“ geschrieben steht. Das Ziel meiner Träume. Ich habe es geschafft! 100 Kilometer in 20 ½ Stunden. Als einer von 256 Finishern. Das ist das Gefühl, mit dem man sich für die lange Vorbereitung und die körperliche Anstrengung belohnt. Meine „Grenze“ liegt nun bei 100 Kilometern. Eine runde Zahl, eine vor einiger Zeit noch unvorstellbare Entfernung. Mega eben!
Zwei Dinge möchte ich aber auch erwähnen. Erstens: Es gab viele Teilnehmer, die den Marsch abbrechen mussten. Aus welchen Gründen auch immer und sei es bei 20, 40, 60 oder gar 80 Kilometern. Oder eben irgendwo mittendrin. Auch diesen Teilnehmern drücke ich meinen Respekt aus! Jeder, der sich dieser Herausforderung gestellt und dabei seine persönliche Grenze ausgetestet hat, der diese dann womöglich sogar überschritten hat, ist in meinen Augen ein echter Gewinner!
Und zweitens: Die Teilnahme des Wrightsock-Teams am Megamarsch diente auch dem guten Zweck. Für jeden Kilometer den die Teilnehmer des Wrightsock-Teams auf dem Megamarsch erwandert haben, hat Wrightsock 1 Euro an laufendhelfen gespendet, eine private Initiative von Rolf Mahlburg, die sich mit ihren sportlichen Aktivitäten für die Unterstützung behinderter Mitmenschen einsetzt. Und auch ich hatte vor dem Marsch versprochen, 50 Cent je Kilometer aus meinem persönlichen Portemonnaie zu spenden. Und das sollten dann möglichst 50 Euro sein – schon allein deshalb MUSSTE ich die 100 Kilometer schaffen.
Der Tag danach…
Am Tag danach dann die Nachwirkungen: Die Beine schmerzen und am Rücken habe ich Druckstellen vom Rucksack. Ich bewege mich langsam, möchte am liebsten nur die Beine hochlegen. Doch am Nachmittag schon der erste längere Spaziergang. Ich spüre, wie die Muskeln lockerer werden. Und am Dienstag waren die Schmerzen schon Geschichte. Euphorie und Stolz beflügeln mich aber immer noch! Alleine dafür hat sich das Mitmachen schon gelohnt! Ob ich es wieder mache? Gut möglich – Schau‘n wir mal…“
Vielen Dank an Jörg Thamer für diesen emotionalen und mitreißenden Erfahrungsbericht vom MegaMarsch in Frankfurt 2017.
Lest auch Jörgs Bericht auf seinem Blog Outdoorsüchtig!
Die glücklichen Finisher Chris (mitte) und Jörg (rechts) am Ziel.
MegaMarsch-Urkunde und Finisher-Medaille haben mit Sicherheit einen besonderen Platz bekommen.
Foto: Jörg Thamer
Hallo,
Wir veranstalten als gemeinnütziger Verein jährlich einen 100 km Marsch im familiären Maßstab (ca. 100 Teilnehmer) wobei wir heuer auch anbieten, als Staffel teilzunehmen – so können sich die Leute an 100 km herantasten, und nach und nach größere Distanzen testen sowie Erfahrung beim Nachtwandern machen. Ich hab die 100 km einmal versucht und auf Anhieb geschafft und einen eigenen Erfahrungsbericht veröffentlicht, ich denke je mehr davon man liest, desto eher findet man individuell treffende Tipps – jeder Mensch ist anders:
https://www.schlacken.com/100-km-in-24-stunden-ein-erfahrungsbericht/
Ich hoffe, manchen hilft’s das durchzustehen, bzw. dieses Wagnis im Vorfeld ausreichend ernst zu nehmen, da gehen einfach zu viele mit die glauben wer 20 km gehen kann schafft auch 100 km.
Ob ich einen zweiten 100 km Marsch in meinem Leben brauche? ich weiß es noch nicht …
Mit sportlichen Grüßen!